Samstag, 26. November 2011

Überblick Usûl al-Fiqh

Usûl al-Fiqh ist eine der wichtigsten Grundlagenwissenschaften, die jeder braucht, der die islamischen Wissenschaften studieren will, egal auf welchen Bereich er sich spezialisieren will.

Inhalte
Usûl al-Fiqh beschäftigt sich mit den allgemeinen Regeln, die auf alle islamischen Wissenschaften angewandt werden können.

Das Studium der allgemeinen Normen - دراسة الأحكام الإجمالية
Die Normen bzw. Kategorien werden in zwei Bereiche unterteilt:
Ahkâm schar'iyya (أحكام شرعية): Normen zur Beurteilung der Handlungen des Mukallaf.
Ahkâm wad'iyya (أحكام وضعية): Kausale Normen

Diese Unterteilung betrifft den Geltungsbereich der Normen, die Ahkâm schar'iyya dienen dazu die Taten des Muslims nach islamischen Kriterien zu beurteilen.
Die Ahkâm wad'iyya hingegen beziehen sich auf die Gültigkeit und Auswirkung einer Handlung auf die Beurteilung.
Diese Unterteilung hat nichts mit dem sogenannten hukm schar'i im Sinne des islamischen Rechts um Vergleich zum hukm wad'iy im Sinne des weltlichen säkularen Rechts zu tun.

Die Ahkâm schar'iyya sind:
Pflicht: Fard فرض, wâdschib واجب
Empfehlung: istihbâb استحباب/mustahabb مستحب (auch: masnûn مسنون u.v.m.)
Verbot: Hurma حرمة, harâm حرام (auch: Mahzûr محظور)
Unerwünscht: Karâha كراهة, Makrûh مكروه.
Neutral: Ibâha إباحة, mubâh مباح, halâl حلال.
Die Ahkâm wad'iyyaHier gibt es Normen zur Rechtsgültigkeit und Normen der Auswirkung:
1. Normen der Rechtsgültigkeit
a) Sahîh صحيح: Gültig.
b) Bâtil باطل/Fâsid فاسد: Ungültig.
Die Hanafiten unterscheiden zwischen Fâsid und Bâtil. Sahîh und Bâtil/Fâsid sind also Begriffe, die bezeichnen, ob eine Handlung im Islam gültig ist oder nicht.

2. Normen der Auswirkung
a) Schart شرط: Bedingung.
b) Sabab سبب: Ursache.
c) Ruchsa رخصة: Erleichterung, Erlaubnis.
d) 'Azîma عزيمة: Unabdingbarkeit.
Die Normen der Auswirkung beschreiben das Kausalitätsverhältnis zu den Handlungen: Eine Bedingung hat Auswirkungen auf andere Handlungen. Wer eine Bedingung nicht erfüllt, kann die daran gebundene Handlung nicht ausführen.

Die Quellenlehre
Usûl al-Fiqh beschäftigt sich mit den Quellen, die für die islamischen Wissenschaften zugelassen sind.
Vier Quellen werden von den vier Rechtsschulen und den frühen Muslimen akzeptiert:
Koran, Sunna, Idschmâ' (Konsens der Gelehrten) und Qiyâs (Analogieschluss).
Darüber hinaus gibt es auch weitere Quellen, die jedoch nur eingeschränkt und bei einigen Schulen angewandt werden: die Fatwas der Sahâba, das Recht der Juden und Christen (einige Schiiten), Tradition und Brauch (wenn kein Widerspruch zum Islam existiert), u.v.m.

Die Urteilsfindung - Idschtihâd
Dieser Bereich beschäftigt sich mit der Frage, wer zu den islamischen Handlungen verpflichtet ist, wer diese Handlungen beurteilen kann (i.e. Fatwas geben darf) und wie man die Normen und Quellen anwendet.
Ein Sonderbereich ist die Semantik علم الدلالات
Hier geht es um die konkrete Bedeutung einzelner Grammatischer Fumnktionen (z.B: Befehlsform) und bestimmter Wörter für die Beurteilung einer Tat. Heißt es etwa: "Wahrlich Allah liebt dies oder jenes", so stellt sich die Frage, ob diese von Allah geliebte Tat nun eine Pflicht ist oder eine Empfehlung, und an welchen Wörtern und grammatischen Strukturen ich dies erkennen kann.

Sonntag, 20. November 2011

Einführung in die islamischen Wissenschaften

Das Studium der islamischen Wissenschaften unterscheidet sich in gewisser Weise von der Methodik und dem Aufbau europäischer Studiengänge. Daher ist es angebracht in die islamischen Wissenschaften einzuführen und einen ersten Überblick über die Studiengänge zu verschaffen.
Zunächst ist festzustellen, dass man heute grundsätzlich zwischen zwei Methoden unterscheidet: der klassischen Methode und den modernen Hochschulstudiengängen. Diese zwei Lehrmethoden sollten sich ergänzen, da beide Vor- und Nachteile haben.

Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Unterteilung der Wissenschaftsdisziplinen.

Man unterscheidet zunächst zwischen Usûl أصول (Grundlagen) und Furû' فروع (Abgeleitete Disziplinen).

1. Die Usûl - die Grundlagenwissenschaften
Diese Disziplinen werden auch 'Ulûm al-Âla علوم الآلة - Hilfswissenschaften - genannt, weil sie dem angehenden Wissenschaftler gleich einem Werkzeug (arab. âla آلة) dienen.
Die Grundlagenwissenschaften muss jeder Tâlib 'ilm (Islamstudent) beherrschen, egal worauf er sich später spezialisiert. Man gilt erst als Tâlib 'ilm, wenn man alle Hilfswissenschaften bei Gelehrten studiert hat.
Diese Hilfswissenschaften sind:
1. 'ilm al-Lugha علم اللغة - Sprachwissenschaft
2. 'Ulûm al-Qurân علوم القرآن
3. Mustalah al-Hadîth مصطلح الحديث ('Ulûm/Usûl al-Hadîth)
4. Usûl al-Fiqh أصول الفقه
5. Al-'Aqîda العقيدة (Usûl ad-Dîn/al-Fiqh al-akbar)

1. 'ilm al-Lugha
Die Sprachwissenschaft, i.e. das Studium des Hocharabischen, ist essenziell, wer das klassische Arabisch nicht beherrscht, ist nicht in der Lage, die islamischen Wissenschaften zu studieren, da er die Quellen und die wichtigste Literatur nicht im Original versteht. Zur Sprachwissenschaft gehört jedoch nicht nur die Grammatik und Morphologie (النحو والصرف), sondern auch Stilistik البلاغة , Lexik علم المعاجم, allgemeine Sprachwissenschaft علم اللغة/فقه اللغة und die Literaturwissenschaft الأدب العربي.

2. 'Ulûm al-Qurân
Die Koranwissenschaften sind unabdingbar, weil sie sich mit der wichtigsten islamischen Quelle und deren Interpretation beschäftigen. Sie beinhalten: Geschichte des Korans تاريخ تدوين القرآن, Inhalt, Stil, Sprache, Aufbau, Lesvarianten القراءات, Abrogation الناسخ والمنسوخ u.v.m.

3. 'Mustalah al-Hadîth
Die Hadithwissenschaft ist wichtig, da sie sich mit der zweiten Hauptquelle der islamischen Wissenschaften beschäftigt: der Sunna. Darüberhinaus befähigt die Hadithwissenschaft zur Beurteilung anderer Überlieferungen. Die Hadithwissenschaft wird in zwei Bereiche unterteilt:
a) 'ilm ar-Riwâya - die Überlieferungswissenschaft
b) 'ilm ad-Dirâya - die Interpretation
Die Überlieferungswissenschaft beschäftigt sich zunächst mit der Kategorisierung der Überlieferungswege دراسة الأسانيد, anschließend mit dem Studium der Gelehrtenbiographien علم الجرح والتعديل und schließlich mit dem vergleichenden Studium der Texte, zunächst nur dokumentarisch علم التخريج und zuletzt kritisch دراسة العلل.

4. Usûl al-Fiqh
Usûl al-Fiqh ist eine der wichtigsten Hilfswissenschaften, da sie sich u.a. mit der logischen Ableitung von Regeln aus den primären Quellen beschäftigt. Zudem behandelt diese Hilfswissenschaft die Quellen - nicht nur des islamischen Rechts, sondern aller islamischer Wissenschaften -, die islamischen Kategorien und Normen zur Beurteilung jedweder Handlung, die Interpretation sprachlicher Phänomene und die selbstständige Urteilsfindung. Somit ist Usûl al-Fiqh mehr als nur eine Rechtsquellenlehre oder Theorie des islamischen Rechts, vielmehr ist es die wichtigste Grundlage zur Beschäftigung mit den islamischen Wissenschaften.

5. Al-'Aqîda
Die Glaubenslehre beschäftigt sich mit der Lehre von den sechs Säulen des Glaubens:
Der Glaube an Allah, die Engel, die Offenbarungsbücher, die Propheten, das Jenseits und die Vorbestimmung القدر. Besonders der erste Bereich, der Glaube an Allah, wird intensiv behandelt:
Man nennt diese Unterdisziplin Tauhîd التوحيد: das Wissen um die Einheit und Einzigartigkeit Gottes sowie die Konsequenzen, die sich aus diesem Wissen ergeben.
Doch beschäftigt sich die 'Aqîda-wissenschaft auch mit anderen Phänomenen:
Die Kunde von den Sekten und Gruppierungen علم الفرق/ أصول الفرق
Die vergleichende Religionswissenschaft دراسة الأديان /الملل

Nachdem sich der angehende Tâlib 'ilm mit diesen Hilfswissenschaften beschäftigt hat, lernt er die sogenannten Furû' - die einzelnen Wissenschaftsdisziplinen. Zunächst werden diese auf einfachem Niveau in Form von Einführungswerken studiert. (Dieses Studium begleitet das Auswendiglernen des Korans, wenn dies noch nicht geschehen ist.)

2. Die Furû' - die Wissenschaftsdisziplinen:

1. Tafsîr - Koranexegese
2. Fiqh al-Hadith - Hadithexegese
3. Fiqh - Studium der Beurteilung der Handlungen des Muslims ("islamisches Recht")

1. Tafsîr beschäftigt sich mit der Interpretation des Korans, es werden die verschiedenen Methoden des Tafsir und die wichtigsten Werke gelehrt:
quellenbezogene Interpretation, sprachliche Interpretation, Interpretation nach bestimmten Disziplinen (Fiqh, 'Aqîda, etc.), Interpretationsmethoden bestimmter Gruppierung (v.a.: Sufismus, Schia)

2. Fiqh al-Hadith
Diese Wissenschaft beschäftigt sich mit der Interpretation der Hadithe und mit der Studie der einzelnen Hadithwerke, man lernt die Methodik der Verfasser kennen und studiert die Bedeutung der Sunna für die islamischen Wissenschaften.

3. Fiqh
Die Wissenschaft des Fiqh ist nicht nur das islamische Recht. Der erste und wichtigste Bereich beschäftigt sich ausschließlich mit den gottesdienstlichen Handlungen (العبادات). Der zweite Teil (المعاملات) kann hingegen als islamisches Recht bezeichnet werden:
Hier geht es um Vertragsrechtالعقود, Erbrecht الفرائض/المواريث, Strafrecht الجنايات, das Richterwesen القضاء, den Grundbedarf (Lebensmittel, Kleidung, Gefäße), Jagdrecht الصيد, die Schächtung الذبائح u.v.m.
Zunächst studiert man eine Rechtsschule, beschäftigt sich mit deren Termini, Entstehungsgeschichte und den wichtigsten Werken. Erst danach beginnt man die Rechtsschulen zu vergleichen und sich mit dem Fiqh auf Basis der primären Quellen zu beschäftigen.

Wer in den Usûl und den Furû' mindestens ein Buch bei einem Gelehrte studiert und den Quran und eine gewisse Zahl an Hadithen auswendig gelernt hat, gilt als Tâlib 'ilm. Er kann sich nun dem intensiven Studium der einzelnen Disziplinen widmen und sich spezialisieren.